Fettberg von Phyllis Kiehl

Eine Buchrezension von Malena Glück
Fettberg von Phyllos Kiehl

Nicht nur der Titel ist an diesem Roman verstörend. Noch nie hat mich ein Buch so getroffen und gleichzeitig mitgerissen. Einerseits ist die Geschichte absolut grausam und brutal und andererseits spiegelt sie vollkommen die Natur des Menschen wider – vor allem die negativen Aspekte des Menschseins. Dabei sollte man nicht meinen, nur weil es hier um vor allem dicke Menschen ginge, würde diese Beschreibung nicht auch auf dünne Menschen zutreffen. Denn die Intrigen und Gemeinheiten, die Menschen sich gegenseitig zufügen, sind nicht an ein äußeres Merkmal gebunden.

Konkurrenz und Wettbewerb sind Aspekte unserer heutigen Gesellschaft, die uns alle auseinanderdividieren. Und zugleich sehnen wir Menschen uns nach Zugehörigkeit, Anerkennung und Akzeptanz. Die in »Fettberg« beschriebene Abnehmklinik steht in diesem Zwiespalt, dort flüchten sich dicke Frauen und Männer hin um wieder in die Gesellschaft hineinzupassen, aber auch um vor der Gesellschaft zu entfliehen. Einerseits stehen wir als dicke Menschen unter dem Druck sich der Gesellschaft anpassen zu müssen, andererseits wollen wir als Menschen so sein können wie wir sind ohne uns anpassen zu müssen.

Aus der Sicht verschiedener Patienten und Patientinnen dieser Klinik wird der Lebensalltag dicker Menschen beschrieben, die alles tun wollen um sich wieder dazugehörig zu fühlen. Nun kommt es, dass ein neuer Chefarzt in die Klinik eingeladen wird, der ganz andere Vorstellungen von der Behandlung dicker Menschen hat als der Direktor der Klinik. Dieser Direktor ist aber nur für wenige auserwählte Patienten zu sprechen, ansonsten ist er nur indirekt im Geschehen anwesend. Diese Abwesenheit führt dazu, dass der neue Chefarzt mehrere Patienten aufhetzt und es schließlich eskaliert.

Dieser Roman verlangt von seiner dicken Leserin viel Humor, Selbstironie und ein gestärktes Selbstbewusstsein. Vor allem die Wortwahl und Beschreibungen der dicken Körper erwecken den Eindruck von Ekel. Die ARGE Dicke Weiber ist nicht der Meinung, dass dicke Körper ekelhaft sind. Leider sind viele Worte mit negativen Assoziationen verbunden und müssen genauso wie das Wort »Dick« erst wieder aus diesem negativen Bedeutungszusammenhang herausgenommen werden. Und vielleicht, wenn wir dies geschafft haben, können wir das Buch ohne Vorbehalte lesen und empfehlen. Wenn man jedoch über diese Wortwahl hinwegsehen kann – dann ist es ein sehr spannendes, anregendes, gesellschaftskritisches Buch über moralische, ethische und gesellschaftliche Probleme. Dabei bezieht die Autorin selbst keine Position, sondern offenbart verschiedenste Persönlichkeiten, Lebensweisen und Einstellungen insbesondere zu den Themen »Abnehmklinik«, dicke Menschen und Gemeinschaft.

Wesentlich ist, es handelt von Adipositas – Dicksein als Krankheit – als Fresssucht und damit als eine Art Essstörung, die man angeblich durch Diäten, Sport, Therapie und Übergewichtschirurgie behandeln kann. Es mag dicke Frauen geben, die eine Essstörung haben – aber nicht jede dicke Frau leidet unter einer Essstörung. Ab einem bestimmten BMI wird der Mensch von der heutigen Medizin als adipös eingestuft – also als krank. Ich gehöre zu diesen Menschen – ich sehe mein Dicksein aber nicht als Krankheit. Ich lehne Diäten, Übergewichtschirurgie und die Bezeichnung »Adipös« ab.

Interessant ist dieser Roman für alle, die gerne über menschliches Verhalten und soziale Begebenheiten lesen und sich davon anregen lassen, über moralische, ethische und gesellschaftliche Themen nachzudenken.

Phyllis Kiehl
Fettberg
Kulturmaschinen Verlag, Berlin 2012
236 Seiten, broschiert
ISBN: 978-3940274588

3 Gedanken zu „Fettberg von Phyllis Kiehl

  1. Ich denke nicht, dass man über verletzende Worte einfach hinwegsehen sollte und nehme an, dazu stehen sie nicht in diesem Roman. Sie haben eine Funktion: Umdeutung. Wie in der Rezension bereits angedeutet können Begriffe mit unbefriedigenden Voraussetzungen und Eigenschaften, wie Verletzungen durch Fremdzuschreibungen mittels dieser Worte, durch Umdeutung akzeptabler werden. Dies ist allerdings nur den „Verletzten“ selbst möglich. Sie können sich, zuvor verletzend gemeinte, Begriffe wieder zu eigen machen, wie es z. B. mit der Selbstbezeichnung „Nigga“ durch Afroamerikaner_innen geschehen ist. Hierbei ist nur wichtig, zu beachten, dass es sich bei den so oder (nun umgedeutet) so Bezeichneten, weder jetzt noch irgendwann um eine homogene Gruppe handelt. Schließlich beruhen Begriffe auf einer geringen Anzahl an Merkmalen, im Falle von Diffamierungen meist nur eines einzigen, wie Hautfarbe, Körperumfang, … Letztlich geht es also darum, dass jede Person selbst entscheiden kann und darf ob sie fett oder vollschlank, … pervers … oder einfach schön ist.

  2. Liebe Malena Glück, spannende Rezension! Zu Fragen der diskriminierenden Etikettierung im Roman, vor allem aber zu Ihrer Interpretation, dass die Dicken in der Klinik „alles tun wollen, um wieder dazuzugehören“, möchte ich einige Anmerkungen machen.
    Denn – so viel vorab – die Geschichte erzählt ja insbesondere von jener eingeschworenen Gemeinschaft von Schwerleibigen, die sich vehement gegen das Normiertwerden und für ihren Hunger entschieden haben.
    Leider fehlt mir heute die Zeit zum Schreiben, aber ich komme zurück.

    Herzliche Grüße
    Phyllis Kiehl

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